Putin verliert die Geduld mit Erdogan

Von Alfred Hackensberger

Die hochgesteckten Ziele des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in Syrien sind kaum noch zu erreichen. Moskau fordert endlich militärische Ergebnisse. Aber auch die USA ziehen eine klare Linie.

Recep Tayyip Erdogan sitzt im schwarzen Anzug, mit blütenweißem Hemd und Krawatte auf einem Sessel zwischen zwei türkischen Nationalflaggen. Glänzende Messingbeschläge einer pompösen Tür im Hintergrund rahmen seinen Kopf ein und lassen an einen Heiligenschein denken.

Es ist die große, staatsmännische Pose, mit der sich der türkische Präsident stets an die Nation wendet. Zuletzt tat er das für das Opferfest, dem wichtigsten islamischen Feiertag Mitte August. In einer Videobotschaft sprach Erdogan seine Glückwünsche aus, um danach gleich auf die glorreiche Historie des türkischen Volkes zu kommen.

Der August gilt in unserer Geschichte als der Monat der Siege“, sagte Erdogan und zog den Bogen von Schlachten im Mittelalter bis zu den zwei Invasionen in Syrien 2016 und 2018. „Die türkische Republik wird mit jedem Schritt stärker und größer“, behauptete Erdogan und stellte einen neuen Sieg in Aussicht. Natürlich soll der ebenfalls im August stattfinden und zwar erneut in Nordsyrien, um dort den „Terrorkorridor“ der verhassten Kurden zu „zerschmettern“.

Das Versprechen mag eingefleischte Anhänger Erdogans überzeugen, aber eine Invasion und neue große Siege sind in Syrien nicht in Sicht. Zum einen einigte sich die Türkei mit den USA auf die Einrichtung einer Sicherheitszone in Nordsyrien.

Außerdem gerät Ankara in einem anderen Teil von Syrien massiv unter Druck und zwar in der Provinz Idlib. Dort kam das türkische Militär unter Beschuss der syrischen Armee, die obendrein einen türkischen Beobachtungsposten umzingelte.

Damit steht die Syrienpolitik der Türkei vor dem Scheitern und offenbart die Schwäche des Systems Erdogans. Innenpolitisch angezählt, will er mit dem Kampf gegen den ”Kurdenterror” und das „unmenschliche Assad-Regime“ punkten.

Allerdings fehlt Erdogan durch die Wirtschaftskrise das Geld für teure Invasionspläne und die Unterstützung der Rebellenmilizen in Idlib. Im eigenen Land läuft ihm obendrein seine Gefolgschaft davon. Erdogans Macht bröckelt.

Seit über einer Woche arbeiten Militärvertreter der Türkei und der USA an der konkreten Umsetzung der Sicherheitszone. Vorausgegangen waren monatelange Verhandlungen, wobei die Türkei immer wieder betonte, sie werde von ihren Forderungen nicht abweichen. Sie bestehe auf einer 32 Kilometer breiten Zone, der bedingungslosen Rückkehr syrischer Flüchtlinge und vollen Kontrolle über die Sicherheitszone.

Blamage für Erdogan

Die Realität sieht heute anders aus. Die Zone soll generell nur fünf Kilometer breit sein und sich nur in Ausnahmefällen auf neun und 14 Kilometer ausdehnen, wie Mazlum Abdi, der militärische Oberbefehlshaber Nordsyriens, der lokalen Nachrichtenagentur Anha sagte.

Die Kontrolle der Sicherheitszone sollen lokale Kräfte in Kooperation mit den USA übernehmen, die weiter über 1000 Soldaten in Nordsyrien zur Unterstützung der Kurden stationiert haben. Zudem sollen nur Flüchtlinge zurückkehren, die ursprünglich aus Nordsyrien stammen.

Das Ergebnis der Verhandlungen ist für Erdogans Regierung eine Blamage. Die Invasionspläne erwiesen sich als leere Drohungen. Ankara gab klein bei, nachdem die USA einen türkischen Angriff für „inakzeptabel“ erklärten.

Und die nächste Niederlage in Syrien zeichnet sich bereits ab. In der Provinz Idlib sind die überwiegend radikal-islamistischen Rebellen auf dem Rückzug, die Ankara im Kampf gegen das Assad-Regime unterstützt. Noch wichtiger: Syrische Hubschrauber beschossen zum ersten Mal türkisches Militär, und Assad-Truppen kreisten einen der insgesamt zwölf türkischen Beobachtungsposten in Idlib ein.

Die Angriffe finden mit Erlaubnis Russlands statt, dem Verbündeten des syrischen Regimes“, erklärt Nicholas Heras, Experte für den Mittleren Osten des Center for New American Security (CNAS) in Washington. „Die Russen signalisieren den Türken, dass sie die salafistisch-dschihadistischen Milizen in Idlib unter Kontrolle bekommen müssen.“

Diese „Kontrolle“ verspricht die türkische Regierung bereits seit einem Jahr. Ebenso, dass die Milizen eine entmilitarisierte Zone in Idlib respektieren. Bisher ohne Ergebnis. „Der Kreml lehrt Ankara nun eine diplomatische Lektion“, sagt Heras. „Wenn die Türkei ihren Verpflichtungen nicht nachkommt, hat das tödliche Konsequenzen.“

Die Türkei steht massiv unter Druck. Sie saß zwar mit Russland mehrfach am Verhandlungstisch und kaufte auch das russische Raketenabewehrsystem S-400. Aber nun ist die Geduld des Kreml am Ende.

Am Dienstag reiste der türkische Präsident nach Moskau, um beim Treffen mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin die Wogen zu glätten. „Er wird jedoch nicht viel erreichen“, glauben politische Beobachter.

„Für Erdogan geht es bei seiner Syrienpolitik, insbesondere was die Kurden betrifft, nur darum, dass er als Präsident behaupten kann, Land und Nation sicher zu machen“, sagt Heras. Erdogan wolle als Beschützer des Volks auftreten und dafür Zuspruch erhalten.

Allerdings haben die türkischen Kommunalwahlen vom Frühjahr gezeigt, dass das Beschützerimage nicht mehr funktioniert. Die Gunst der Wähler schwindet, und die Macht des Präsidenten bröckelt. Seine Regierungspartei AKP hat neben Istanbul auch die Hauptstadt Ankara und weitere Metropolen des Landes verloren.

Putin verliert die Geduld mit Erdogan
Putin verliert die Geduld mit Erdogan

Es sind der autokratische Herrschaftsstil Erdogans, die Korruptionsvorwürfe gegen Mitglieder seiner Familie, aber insbesondere die Wirtschaftskrise, die das Staatsoberhaupt immer unpopulärer machen. Die hohe Arbeitslosigkeit, eine immense Inflation und steigende Preise für Grundnahrungsmittel bringen viele Menschen in existenzielle Schwierigkeiten. Und ein Ausweg aus der Krise ist nicht in Sicht.

In dieser Situation wittert die Opposition eine Chance auf das Ende der Ära Erdogan. Aber auch in den eigenen Reihen des Präsidenten wächst die Kritik. Ehemalige Weggefährten verlassen die Regierungspartei.

Zu ihnen gehört Ahmet Davutoglu, ehemaliger Ministerpräsident, der in einem Manifest Erdogan „arrogante Politik“ vorwarf. Nun hat Davutoglu eine eigene Partei am Start, die bereits in 70 der insgesamt 81 türkischen Provinzen vertreten sein soll. Auch Ali Babacan, ein anderer namhafter Politiker, kehrte Erdogan im Juli den Rücken.

Für den Präsidenten gelten die beiden langjährigen Weggefährten als Abtrünnige, die das „gemeinsame Anliegen im Stich lassen“. Dabei müsste Erdogan doch spätestens seit den Verlusten bei den Kommunalwahlen einsehen, dass neue Zeiten anbrechen. Aber er glaubt wie bisher, über den Kampf gegen die Kurden und das Assad-Regime seine Popularität stärken zu können.

Nur mit Russland als Gegenspieler wird das schwierig. „Und dann ist da auch noch das Pentagon“, wie Politexperte Heras anmerkt. „Das US-Militär hat eine klare Nicht-in-meinem-Hinterhof-Prespektive und ist bereit, seine lokalen kurdischen Partner in Nordsyrien mit Einsatz seiner Streitmacht zu schützen.“ der WELT. Firil Center For Studies FCFS. 28.08.2019